Verändern mit Gefühl

 

Eine kleine Digitalagentur mit gut 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und illustren Kunden. Das Geschäft floriert. Die Entscheidungswege sind kurz, die Organisation ist straff und wendig, jeder kennt jeden. Man fühlt sich wohl miteinander.

 

In dieses Idyll platzt die Ankündigung des Vorstands, das Unternehmen an einen großen IT-Konzern zu verkaufen, der damit seine Kompetenzen und seinen Marktzugang stärken will. Nachdem die Prüfung des Unternehmens durch den Käufer abgeschlossen ist und die Verträge besiegelt sind, werden erst alle Führungskräfte und dann die gesamte Belegschaft in einem Townhall Meeting über den Verkauf informiert.

 

Überzeugt davon, alles nachvollziehbar dargestellt zu haben, werden die Vorstände noch während dieses Ereignisses von hitzigen Wortgefechten und tumultartigen Szenen überrascht. Die einen begrüßen den Schritt, weil sie im Verkauf Entwicklungschancen für sich und das Unternehmen sehen. Andere reagieren verärgert über die „katastrophale Idee“ der Firmenleitung und kündigen Widerstand an. Viele befürchten den Verlust der familiären Kultur und wollen nicht zum Zahnrad in einem großen Getriebe werden.

 

Die Geschäftsleitung ist ratlos. Die Geschäftslogik hinter der Entscheidung ist doch bestechend klar, eine Win-win-Situation liegt auf der Hand, wieso erkennen das nicht alle?

 

Im Grunde muss sich der Vorstand nicht wundern. Als autopoietische Wesen konstruieren Menschen ihr Erleben und dessen Bewertung autonom. Dahinter verbergen sich lebenshistorische Erfahrungen und persönliche Prägungen, die häufig in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der aktuellen Situation stehen. Aus Sicht der einzelnen Person sind ihre emotionalen Befindlichkeiten eine angemessene Reaktion auf das, was gerade um sie herum los ist. Gefühle entstehen, wie sie entstehen, ebenfalls die Bereitschaft, voranzugehen und mitzuziehen – oder eben nicht. Diese emotionale Bandbreite anzunehmen und zu würdigen, ist das Beste, was man tun kann.

 

Leider ist das in vielen Unternehmen noch nicht angekommen. Es gibt sie nach wie vor, die Führungskräfte, die gern Sätze sagen wie „Lassen Sie uns die Sache doch mal ganz rational betrachten“, am liebsten dann, wenn es in einem Meeting hoch hergeht. Viele Manager denken tatsächlich bis heute, dass Emotionen im harten Business wenig verloren haben, weil Gefühle bloß den strukturierten Fortgang von Diskurs und Entscheidungen stören. Folglich tun sie ihr Möglichstes, um emotionale Regungen aus ihrem Umfeld zu verbannen.

 

Es gibt kein Denken ohne Fühlen

 

Kann das gut gehen? Die Neurowissenschaft sagt klar: Nein. Mit seinem „Ich fühle, also bin ich“ lud der Bewusstseinsforscher Antonio Damasio bereits vor gut zwei Dekaden zum Umdenken ein, weg vom Primat der Ratio, hin zum Verständnis, dass sich das Denken weit mehr auf Körperempfindungen stützt als angenommen. Der Hirnforscher Gerhard Roth sekundiert durch den Nachweis, dass das unbewusste emotionale Erfahrungssystem bei Handlungsentscheidungen das letzte Wort hat. Dieses System arbeitet unabhängig von den bewussten Vorgängen, mitunter sogar konträr dazu, und stellt das Bewusstsein vor die Aufgabe, hinterher passende Begründungen für die intuitiv erfolgten Einschätzungen zu finden.

 

In dasselbe Horn stößt der Psychologe John Bargh, der eindrucksvoll experimentell belegt hat, dass unwillkürliche Prozesse uns weitaus mehr bestimmen als wir ahnen – und wahrhaben wollen. Gefühle in Führungs- oder Veränderungssituationen zu übergehen, steht also auf tönernen Füßen. Weil es ignoriert, dass intuitive Bewertungen und Entscheidungen oft bereits da sind, bevor willkürliche Denkprozesse gestartet sind, ob es um das Kennenlernen von Menschen, die Risikobewertung von Investments, die Beurteilung des Auftretens von Führungskräften oder eben die erste Reaktion auf Veränderungsvorhaben geht.

 

Im Change erfordert das ganze Spektrum der Gefühle Beachtung

 

Die Kunst ist folglich, Menschen nicht nur rational-kognitiv, sondern auch emotional-intuitiv für solch ein Vorhaben zu gewinnen. Denn nur dann werden sie sich einbringen. Es ist daher gut, ein Bewusstsein dafür zu haben, dass sich bei Veränderungsvorhaben in Organisationen grundsätzlich ein sehr breites Gefühlsspektrum zeigen kann. Und es gilt, diese Gefühle zu würdigen – frei von der Versuchung, sie zu bewerten, zu verurteilen oder umzudeuten. In der

Bandbreite der sich offenbarenden Gefühle stecken schließlich wesentliche Informationen darüber, was gerade im Unternehmen los ist, etwa, welche Bedürfnisse und Interessenkonflikte es gibt.

 

Dennoch spielt auch die Art und Weise, wie über eine Veränderung gesprochen wird, eine Rolle bei der Gefühlsgenese. Sie hat – bei aller Individualität im persönlichen Erleben – einen Einfluss darauf, ob tendenziell mehr bremsende oder antreibende Gefühle entstehen. Es lohnt sich daher, sich näher mit der Wirkung und dem Umgang mit Gefühlen im Kontext von Veränderungsprozessen zu beschäftigen.

 

Beispielhaft seien hier sowohl einige Primäremotionen vorgestellt – also Gefühle, die weltweit unabhängig von der Enkulturation ähnlich empfunden und mimisch zum Ausdruck gebracht werden (Freude, Überraschung, Ärger und Angst) – als auch einige Sekundäremotionen, also Gefühle, deren Ausprägung vom soziokulturellen Umfeld bestimmt wird, in dem Menschen aufwachsen (Vertrauen, Scham- und Schuldgefühle):

 

Herauskitzeln, aber nicht überstrapazieren

 

Freude löst einen Zustand des Wohlgefühls, der Harmonie und der Kraft aus. Sie ist eine primär antreibende und anziehende Emotion: Wer bei anderen Freude auslöst, erreicht, dass diese bereit sind, sich auf die Quelle der Freude zuzubewegen. Es liegt daher auf der Hand, Veränderungsnotwendigkeiten so darzustellen, dass für einen guten Teil der davon Betroffenen ein freudig-positives Zukunftsbild entsteht. Wenn die in Aussicht stehende Zukunft zufriedenstellender ist als der Status quo, lassen sich auch zunächst unangenehme Veränderungen, zum Beispiel Einsparrunden, positiv aufladen.

 

Für das Beispiel der Digitalagentur, die an einen Konzern verkauft wird, könnte das heißen: Die Vorstände täten gut daran, die spannenden neuen Marktchancen, die sich aus der Kombination der Kompetenzen und Technologien der beiden Unternehmen ergeben, besonders anschaulich darzustellen. Geeignet wäre dafür insbesondere ein konkretes Projektbeispiel, das Synergieeffekte plastisch greifbar macht. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass mehr Menschen mit Freude und Lust auf die neuen Perspektiven reagieren statt mit Ängsten und Bedenken,

steigt dadurch.

 

Seine Grenzen findet das Utilisieren von Freude jedoch, wenn es um einschneidende negative Entwicklungen geht. So würde der Versuch, Entlassungen oder Standortschließungen positiv darzustellen, zynisch wirken. Gleiches gilt, wenn Freude überstimuliert wird oder zum Zweckoptimismus verkommt. Wird das Ausmalen positiver Zukunftsbilder als unecht empfunden, erzeugt dies statt Freude Skepsis und Widerstand. Doch auch echte Freude kann mitunter bremsend wirken: wenn sie zum Dauerzustand wird. Herrscht eine anhaltende „Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung“ in einem Unternehmen, will niemand mehr zu neuen Ufern aufbrechen.

 

Auf das Framing achten

 

Überraschung ist ein ambivalentes Gefühl. Damit kann sowohl ein Zustand des freudigen Erstaunens und der Erleichterung einhergehen als auch einer der Enttäuschung und des erschrockenen Innehaltens – abhängig von der Art des Unerwarteten und von der individuellen Rezeption. Überraschung kann also sowohl antreiben als auch bremsen. Der Bremseffekt ist häufiger zu beobachten, da viele Menschen sich generell mit Unvorhergesehenem schwertun. Veränderungsvorhaben als vollendete Tatsachen daherkommen zu lassen, ist folglich keine gute Idee. Viele Menschen brauchen Zeit und Raum, um sich auf neue Bedingungen einlassen zu können.

 

In Fällen wie dem Agenturverkauf allerdings lässt es sich nicht vermeiden, die gesamte Belegschaft von einem Moment auf den anderen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Denn aus rechtlichen Gründen durfte der Verkauf erst bekannt gegeben werden, als er in trockenen Tüchern war. In so einer Situation ist es wichtig, als Firmenleitung deutlich zu machen, dass man sich der Brisanz und der Tragweite der neuen Entwicklung bewusst ist und dass man

die Entscheidung sehr sorgsam abgewogen hat. Außerdem sollte die Firmenleitung genau erläutern, warum sie die Belegschaft erst zu diesem späten Zeitpunkt einweihen konnte, sowie betonen, dass fortan selbstverständlich gemeinsam mit allen an der Umsetzung gearbeitet wird – und diese Absicht dann auch umgehend umsetzen. Es geht also darum, dem Überraschungsmoment mithilfe eines geeigneten Framings seine Schärfe zu nehmen.

 

Konsistenz und Integrität leben

 

Vertrauen ist wie Freude primär antreibend. Das Gefühl ist die Basis dafür, Sinn zu erleben, sich auf Neues einzulassen, mitzugestalten. Transformationsprozesse benötigen Vertrauen in dreierlei Hinsicht: Erstens braucht es Vertrauen in die Initiatoren der Transformation, zweitens in den Sinn der Transformation und drittens braucht es das Selbstvertrauen, die Herausforderungen meistern zu können. Die Fähigkeit zu vertrauen, ist aufgrund individueller Lebenserfahrungen hochgradig unterschiedlich ausgeprägt. Unabhängig davon gilt: Veränderungsvorhaben sollen derart verständlich, nachvollziehbar, integer und konsistent angegangen werden, dass möglichst geringe Hürden für das Entgegenbringen von Vertrauen entstehen.

 

Die erforderliche Integrität und Konsistenz sind freilich nicht immer leicht zu haben. So kann es, um Vertrauen zu schaffen, zum Beispiel auch nötig sein, als Management eigene Fehler der Vergangenheit offen einzuräumen – etwa den, negativen Entwicklungen viel zu lange tatenlos zugesehen zu haben.

 

Im Fall der Digitalagentur geht es auch noch um etwas anderes, nämlich darum, Vertrauen zum neuen Inhaber und zukünftigen Arbeitgeber aufzubauen. Das funktioniert, indem man entsprechende Brücken baut. Wichtig ist zum Beispiel die glaubhafte Referenz des Vorstands für den Konzern als Käufer. Und wichtig ist auch das vertrauenswürdige Auftreten des Konzernmanagements. Vor allem aber entsteht Vertrauen über positive Erfahrungen, die Menschen miteinander machen. Also gilt es, möglichst schnell solche Gelegenheiten zu schaffen. Das könnten etwa Workshops sein, in denen Konzern- und Agenturteams miteinander gleichberechtigt an der Zukunft arbeiten und so erleben, dass die Fusion auf Augenhöhe abläuft.

 

Der Fokus auf den Aufbau von Vertrauen

 

von Anfang an ist essenziell, denn ausbleibendes oder verloren gegangenes Vertrauen (wieder) aufzubauen, ist ein mühsames und langwieriges Unterfangen – das einmal mehr nur mittels sehr vieler uneingeschränkt positiver Erfahrungen gelingen kann. Grenzen findet Vertrauen allerdings dort, wo der Glaube an die guten Absichten anderer und die Sinnhaftigkeit von Gegebenheiten und Veränderungen in Naivität oder Fatalismus übergeht.

 

Dissens klären

 

Ärger setzt viel Energie frei und treibt massiv weg von seinem Auslöser, da Menschen Ärger vermeiden möchten. Das Gefühl ist also ein primär bremsendes, in Einzelfällen allerdings auch ein antreibendes. Das heißt, Ärger kann kurzzeitig als Beschleuniger genutzt werden. In einem ersten Schritt gemeinsam Zustände anzugehen, die viele Mitarbeitende seit Langem nerven, ist zum Beispiel ein guter Ansatzpunkt, um Menschen für (später vielleicht auch weitreichendere) Veränderungen zu gewinnen.

 

Als längerfristiger Motivator ist Ärger allerdings ungeeignet. Toxisch wird es, wenn sich der Ärger gegen die Transformation selbst richtet. Auch dann wäre es jedoch ein großer Fehler, das Gefühl weg reden oder ignorieren zu wollen. Vielmehr gilt, es als Signal zu würdigen, zu analysieren, welche Ursachen ihm zugrunde liegen und dann nach einer Lösung dafür zu suchen. Das kann die Bremswirkung von Ärger in eine vorantreibende Wirkung umkehren.

 

Im Beispiel der Digitalagentur könnte auf zwei Arten mit dem Ärger umgegangen werden: Den Ärger, den diejenigen empfinden, die schon lange damit gehadert haben, in ihrem Unternehmen zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten zu haben, könnte man aufgreifen, um die Vorteile herauszustreichen, die die Fusion auch für jeden Einzelnen hat. Den Ärger, den andere darüber empfinden, dass die Firmenleitung das Unternehmen verkauft hat, gilt es dagegen zum Anlass zu nehmen, genau nachzuforschen, welche Vorbehalte es gegen den Verkauf im Einzelnen gibt, diese ernst zu nehmen und sich dann darum zu bemühen, den Dissens auszuräumen.

 

Sorgen besprechen

 

Angst ist eine elementare und machtvolle Überlebensreaktion, die auf Gefahren und Bedrohungen hinweist. Sie treibt Menschen oft in die Vermeidung dessen, was die Angst auslöst. Seltener treibt sie sie auch dazu an, den Angstauslöser zu bekämpfen. Insofern kann auch Angst ein Aktivator sein, allerdings nur in begrenztem Maß. Sorgen sich Mitarbeitende beispielsweise um die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens, weil man sie über ungünstige Entwicklungen der Geschäftszahlen auf dem Laufenden hält und sich um Transparenz bemüht, dann kann das die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie sich für Veränderung öffnen.

 

Als Motivator kann Angst allerdings nur kurzzeitig positiv wirken – und auch nur dann, wenn sie nicht überhand nimmt. Vor allem stabilitäts- und sicherheitsorientierte Menschen reagieren oft intensiv auf eine gefühlte Bedrohung. Ist das Unternehmen selbst auf Sicherheit und Bewahrung gepolt, kann es sogar sein, dass ein Großteil der entsprechend sozialisierten Mitarbeitenden jedweden Wandel automatisch als Verrat an der Kultur betrachtet und große

Ängste entwickelt.

 

Um die Ängste, die im Kontext von Veränderungen entstehen, wahrzunehmen, sind feine Antennen gefragt. Denn häufig werden Befürchtungen nicht explizit zur Sprache gebracht. Manchmal werden auch andere als die tatsächlichen Gründe vorgeschoben. Im Kontext von Changeprozessen tun Unternehmen daher gut daran, vertrauliche Rahmen zu schaffen, in denen es leichter fällt, Ängste frei zu äußern. Die Agentur, die vor der Übernahme durch einen Konzern steht, wäre unterdes gut beraten, die mögliche Existenz von Ängsten und Bedenken sofort proaktiv anzusprechen – verbunden mit der Bitte, diese gegenüber den jeweiligen Führungskräften zu thematisieren, um gemeinsam über Lösungen nachdenken zu können. Dies gelingt freilich nur, wenn die gelebte Kultur das dafür nötige Vertrauen rechtfertigt.

 

Wertschätzung zeigen

 

Schuld und Scham sind Gefühle, die im Rahmen von Veränderungsprozessen oft auftreten. Wer glaubt, neuen Anforderungen nicht genügen zu können, kann leicht solche Gefühle entwickeln. Beides geht mit Selbstkritik, antizipierter Ablehnung sowie Angst vor Bloßstellung einher – und bremst den Unternehmenswandel daher massiv aus. Schuld- und Schamgefühle treten auch auf, wenn es, bedingt durch die Veränderung als solche oder durch die Art ihres Angehens, überlegene Gewinner und unterlegene Verlierer gibt, oder wenn vergangene Leistungen und Errungenschaften in Veränderungsprozessen abgewertet werden.

 

Es versteht sich von selbst, dass bei Veränderungsvorhaben die Unterstützung der Mitarbeitenden beim Aufbau nötiger neuer Kompetenzen unbedingt auf die Agenda muss. Ein wichtiger Punkt, um Schuld- und Schamgefühle einzudämmen, ist aber auch die Würdigung von bisherigen Erfolgen samt der dahinterstehenden Leistung und der vorhandenen Kompetenzen. Für die Digitalagentur aus dem Beispiel könnte das heißen, das bisher Erreichte samt der

wertvollen Beiträge der Beteiligten klar herauszustellen und damit den Blick auf die eigenen Stärken zu richten. Und wenn von beiden Seiten wirklich glaubhaft vermittelt werden kann, dass der Merger unter Gleichen stattfindet, sollten Fantasien von Siegern und Besiegten gar nicht erst aufkommen.

 

Empathie ist der Schlüssel

 

Trotz allem bleibt unterm Strich die Erkenntnis: Es gibt kein Patentrezept für die emotionale Zustimmung von Menschen in Veränderungssituationen. Gefühle können weder herbeigeredet noch verordnet werden. Führungskräfte können über die Wahl ihrer Mittel nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eher antreibende als bremsende Gefühle stimuliert werden, und sie können die unwillkürlich auftretenden negativen Gefühle bis zu einem gewissen Grad konstruktiv aufgreifen und kanalisieren. Damit das gelingen kann, braucht es die bewusste Abkehr von der häufig in Unternehmen vorherrschenden, dysfunktionalen Rationalitätsdoktrin. Es braucht die Akzeptanz, dass Gefühle das Geschehen um uns herum wesentlich mitbestimmen. Und es braucht die Fähigkeit, Gefühle zu antizipieren, wahrzunehmen und stimmig damit umzugehen, kurzum: Empathie.

 

Zur Empathie gehört zunächst die Einfühlung in sich selbst, dann die Einfühlung in andere, und zwar in genau dieser Reihenfolge. Denn nur, wer sich selbst spürt und seine intuitiven emotionalen Verhaltens- und Reaktionsmuster kennt, kann auch andere spüren sowie deren Befindlichkeiten wahrnehmen und einordnen. Empathie ist die Voraussetzung dafür, sein eigenes Auftreten in dessen Wirkung auf andere einschätzen zu können. Mit mehr Empathie wäre dem Vorstand der Digitalagentur womöglich aufgefallen, dass seine Ankündigung aufgrund unterschiedlicher Perspektiven in der Belegschaft selbstverständlich nicht nur zu purem Frohlocken, sondern auch zu Ängsten, Ärger und anderen negativenGefühlen führen wird.

 

Die stimmige Sequenz für den Umgang mit negativen, primär bremsenden Gefühlen lautet: zulassen, würdigen, hinterfragen, klären. Das Zulassen, besser noch das aktive „Herauskitzeln“ gibt den Raum dafür, Gefühle zu äußern; und damit kann viel besser umgegangen werden, als wenn Gefühle verschwiegen werden. Würdigen führt dazu, dass sich Menschen gesehen fühlen mit dem, was sie bewegt. Damit wird häufig bereits das Eis gebrochen und der Weg frei für den gemeinsamen Blick auf Lösungsmöglichkeiten: „Was müsste anders sein, damit du zustimmen kannst, wer oder was könnte dir helfen?“

 

Keinesfalls führen „ein Machtwort sprechen“ oder „Widerstand gegen Widerstand setzen“ zum Erfolg. Und: Es gibt keinen Trick, mit dem sich negative Gefühle ins Positive drehen ließen. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, haben sich also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Transformationsprogramm abgewendet, dann gibt es keine schnelle Lösung. Das Kind kommt nur dann wieder aus dem Brunnen heraus, wenn es Vertrauen fassen kann – wofür es wiederholt positive Erfahrungen braucht. Das ist ein anstrengender Weg.

 

Arbeitsdruck verhindert Empathie

 

Wenn es um die mit Change verbundenen Gefühle geht, dann spielt noch ein weiterer Punkt eine große Rolle: Damit sich im Kontext von Veränderungen mehr positive, antreibende Gefühle als negative, bremsende entfalten können, braucht es Freiraum. Wer schon im operativen Tagesgeschäft nicht mehr weiß, wo ihm oder ihr der Kopf steht, hat nicht nur keine Ressourcen frei, um empathisch mit anderen umgehen zu können. Es fehlt ihm oder ihr auch an Spielraum, um neues Terrain zu erkunden. Stattdessen greifen dann Abwehrreflexe, etwa: herunterpriorisieren, verschieben, zerreden, rein formal umsetzen und dergleichen.

 

Der Prozess des Verstehens und des emotionalen Sich-Einlassens auf Wandel, des ersten Probierens und Wiederholens von Neuerungen, bis sie sich etablieren, braucht Aufmerksamkeit und Energie. Es ist illusorisch, das Schiff bei voller Fahrt und maximaler Beladung umbauen und dabei weder an Geschwindigkeit noch an Tragfähigkeit oder Langlebigkeit verlieren zu wollen. Organisationen sind gut beraten, ihre Auslastung zu begrenzen und somit Kapazitäten für Transformation vorzuhalten. Da Unternehmen sich heute eher in einem Changekontinuum befinden als in diskreten Changephasen, wird diese Bewegungsfreiheit ohnehin durchgängig benötigt.

 

Es braucht einen Paradigmenwechsel im Change

 

Der Übergang von einer kopfgesteuerten Welt, in der scheinbar(!) Rationalität Trumpf ist und die mehr und mehr zur Erschöpfung führt, zu einer Welt, in der Menschen mit all dem gesehen und verstanden werden, was sie im Kern ausmacht und was ihre Bedürfnisse sind, ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel. Dieser kann gelingen, wenn er auf der Basis tiefer innerer Überzeugung und Einsicht geschieht. Er wird misslingen, wenn er als eine weitere Managementmethode verstanden wird, die es anzuwenden gilt, weil sie gerade en vogue ist. Unternehmen, die sich dieser herausfordernden Transformation stellen – und das wird die Minderheit sein, denn es ist viel bequemer, so weiterzumachen wie bisher –, werden sowohl im Wettstreit um Talente als auch um Märkte und Kunden die Nase vorne haben. 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0