Sei es die angefragte Information aus der anderen Abteilung, die mal wieder auf sich warten lässt, sodass wir mit unserem Bericht nicht weiterkommen. Die vermeintlich ungerechtfertigte Kritik an der eigenen Arbeit. Die ausbleibende Anerkennung für die Präsentation, die wir gehalten haben. Die Nachfrage der ewig nörgelnden Kundin. Der Kollege, der es sich im Homeoffice gemütlich gemacht hat, obwohl er dringend im Büro gebraucht wird. Das Prestige-Projekt, das eigentlich wir verdient hätten, das aber der Kollegin zugeschustert wurde. Die Spammail, die uns mal wieder aus der Konzentration reißt. Die Kaffeekanne, die schon wieder nicht nachgefüllt wurde ... Gelegenheiten, sich zu ärgern, gibt es im beruflichen Alltag zuhauf.
Und wir nehmen diese auch fleißig wahr. Den Teilnehmenden unserer Anti-Ärger-Kurse zufolge beschäftigen wir uns im Durchschnitt 25 Prozent unserer Arbeitszeit mit Dingen, die uns ärgern. Dabei sind wir oft leicht bis mittelschwer verstimmt, nicht selten köcheln wir aber auch innerlich oder sind gar regelrecht in Rage. Das ist sowohl aus individueller Perspektive als auch aus der des Unternehmens mehr als nur ein kleines Ärgernis, es ist bedenklich. Aus mehreren Gründen. Der offensichtlichste: Ärger kostet Beschäftigte kognitive Zeit und Energie und das Unternehmen Ressourcen und folglich Produktivität. Denn wenn wir uns ärgern, sind wir mit einem Teil unserer Gedanken kontinuierlich woanders bzw. kehren mit unseren Gedanken immer wieder zur ärgerlichen Sache zurück. Zudem erzeugt das Gefühl des Ärgers Stress, der sich aufs körperliche Wohlbefinden auswirkt. Erhöhter Blutdruck, Verspannungen, Kopf- oder Bauchschmerzen sind unmittelbare Folgen. Wenn Ärger länger gärt, kann er zu Schlafstörungen oder gar Depressionen führen. Auf gut Deutsch: Ärger macht krank. Und zwar sowohl dann, wenn wir ihn unterdrücken, als auch dann, wenn wir darin festsitzen oder ihn ausleben.
Ärger belastet das Betriebsklima
Je nachdem, wie gut wir unseren Ärger im Griff haben – oder er uns – kann er auch dem Betriebsklima erheblichen Schaden zufügen. Wenn wir uns ärgern, dann leiden andere unter unserer schlechten Laune, unserer Unzufriedenheit und gegebenenfalls unangemessenen Verhaltensweisen. Das ist wie beim Passivrauchen. Umgekehrt sind wir selbst genauso vom erlebten Ärger anderer betroffen. Der ständig geäußerte Unmut von Kolleginnen und Kollegen kann belastend sein: Ihr Lamentieren zwingt uns dazu, uns mit Dingen zu beschäftigen, die uns vielleicht weder tangieren noch interessieren. Sich dem Ärger anderer nicht anzuschließen und sich nicht davon vereinnahmen zu lassen, ist nicht einfach, denn Ärger kann in Teams, Abteilungen oder auch innerhalb der ganzen Organisation Kreise ziehen und sozialen Druck erzeugen. Im Worst Case wird das „Ärgern“ Teil der Unternehmenskultur. Es gehört dann sozusagen zum guten Ton, sich über Dinge und andere Personen aufzuregen. Ärgerthemen werden zum täglichen Gesprächsstoff, was dann etwa so klingt: „Wie geht es Dir?“ – „Mensch, ich musste mich mal wieder über meine Chefin aufregen, die ...“ Toxisch wird es, wenn sich Gruppen in gemeinsamem Ärger auf bestimmte Personen einschießen. In solchen „Ärgerkulturen“ ist Mobbing besonders verbreitet.
Aller negativen Folgen des Ärgers zum Trotz gehen wir in der Regel unserem Ärger im Job nicht nach, wir hinterfragen nicht den Anlass des Ärgers, geschweige denn, dass wir versuchen, die Ursache des Ärgers herauszufinden und diese aus der Welt zu räumen. Das liegt vor allem daran, dass wir das Gefühl des Ärgers so gut kennen, es ist uns zu einem normalen Begleiter geworden, dessen Existenz wir als gegeben akzeptieren. Dies wiederum hat evolutionäre Gründe. Der Ärger als Basisemotion wies zu Urzeiten auf eine Bedrohung für Leib und Leben hin. Ärger war dann ein funktionales Gefühl, weil es – genau wie Angst – die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin anregt, die unsere Wahrnehmung schärfen und uns reaktionsschneller und stärker machen. Und diese Quelle der Energie, die uns teilweise Berge versetzen lässt, lieben wir. Kein Wunder, dass wir, wenn wir uns über etwas ärgern, oft nicht in der Stimmung sind, irgendetwas zu hinterfragen oder gar zu analysieren. Wenn wir uns ärgern, dann wollen wir uns ärgern. Doch warum ärgern wir uns eigentlich so oft in unserem Job? Was steckt dahinter?
(Soll - Ist) + Ohnmachtsgefühl + Bedeutung = Ärger
Wenn es um die eigene Arbeit geht, dann haben wir ganz klare Vorstellungen. Sind diese nach unserem Empfinden nicht erfüllt, dann meldet sich unser Ärger. Anders als in Urzeiten geht es dabei meist nicht mehr um Leib und Leben, aber trotzdem um Dinge, die uns wichtig sind. Wir haben Wunschvorstellungen, wie unsere Arbeit aussehen soll, was wir benötigen, um gute Arbeit leisten zu können, wie viel Anerkennung wir wofür verdienen, wie Abläufe zu funktionieren haben, welche Kommunikationsformen angemessen sind, wie die Kolleginnen und Kollegen sich verhalten sollten, wie das Unternehmen auf bestimmte Entwicklungen reagieren muss und und und. Viele dieser Vorstellungen haben wir tief internalisiert, heißt, sie sind fest verankert, ohne dass wir sie im Bewusstsein ohne Weiteres benennen könnten. Ärger meldet sich als Emotion also immer bei einer Abweichung der Realität (Ist) von unseren Vorstellungen (Soll). Kommt dann noch das Gefühl hinzu, dass wir ohnmächtig sind und die Lücke nicht aus eigener Kraft schließen können, dann ärgern wir uns. Je wichtiger uns ein Thema ist, je größer die Soll-Ist-Abweichung und je größer unser Gefühl der Ohnmacht, desto größer ist unser Ärger.
Da Ärger gemeinhin als schlechter Ratgeber gilt, scheint es keine gute Idee, dem eigenen Ärger unmittelbar dann nachzugehen, wenn er auftaucht und uns emotional in Beschlag nimmt. Lieber erst einmal eine Nacht darüber schlafen, sich aus der Situation entfernen, tief durchatmen, von zehn rückwärts zählen oder was der Volksmund sonst noch alles rät. Nur leider lösen sich die wenigsten Ärgerthemen über Nacht in Luft auf. Die meisten haben eine relativ lange Haltbarkeit oder verfallen wie radioaktiver Müll gar nicht.
Wenn man keine unnötige Energie und Zeit mehr an Ärgeranlässen verschwenden möchte, dann lohnt es sich, den Ärgeranlass zu hinterfragen: Lohnt es sich, dass ich mich über dieses Thema, diese Person oder diese Situation ärgere? Wer die Antwort auf diese Frage hören will, der hat eine bewusste Entscheidung getroffen: Ich will mich von meinem Ärger nicht leiten – und auf Dauer zerfressen – lassen, sondern ihm bewusst entgegensteuern. Was allerdings nicht heißt, ihn zu unterdrücken. Unterdrückte Gefühle werden nur umso stärker und wirken im Unterbewusstsein weiter. Im Gegenteil gehört zu einem kompetenten Umgang mit Ärger, diesen anzunehmen. Sich bewusst zu machen, dass man verärgert ist, und das zu akzeptieren.
Den Ärgeranlass durch den Ärgerfilter laufen lassen
Ein einfacher wie effektiver Weg, um dem Ärger nachzugehen und zu bearbeiten, besteht darin, den Ärgeranlass durch einen Filter laufen zu lassen, den Ärgerfilter. Dieser hilft, Ärgeranlässe ein- und abzugrenzen und gegebenenfalls loszulassen. Dabei werden die folgenden vier Kriterien schrittweise und nacheinander überprüft:
1. Annahme oder Realität?
Zuerst geht es beim Filtern um die Frage, ob es sich beim Ärgeranlass um einen Fakt oder um eine Annahme handelt. Sehr häufig treffen wir im beruflichen Kontext Annahmen, weil wir nicht die Zeit oder Möglichkeit haben, alles zeitnah zu klären. Das ist auch völlig in Ordnung, solange wir nicht anfangen, uns über unsere eigenen Annahmen zu ärgern, von denen wir nicht wissen, ob sie der Realität entsprechen. Zum Beispiel haben wir ein Projekt nicht erhalten, für das wir unseren Namen in den Ring geworfen hatten. Das an sich ist eine Tatsache. Was uns allerdings ärgert, ist etwa unsere Annahme, dass sich unsere Chefin in dieser Sache nicht für uns starkgemacht hat. Ob diese Annahme der Realität entspricht, können wir klären, indem wir nachfragen. Möchten wir dies nicht, ist uns der Grund, warum wir nicht den Zuschlag erhalten haben, offensichtlich nicht sehr wichtig. In diesem Fall macht es auch keinen Sinn, dazu Annahmen zu treffen. Das gilt für alle Annahmen im Job, die uns ärgern: Entweder können wir sie klären, oder wir müssen sie loslassen.
2. Extern Gegebenes:
Im zweiten Schritt betrachten wir den Kontext unseres realen Ärgeranlasses und überprüfen, welche externen Gegebenheiten zu berücksichtigen sind. Denn im Arbeitsleben sind neben unserer eigenen Aufgabenbeschreibung zahlreiche Abläufe, Regelungen, Prozesse und Verfahren als Handlungsrahmen vorgegeben. Vieles davon gefällt uns nicht, weil es von unseren Wunschvorstellungen abweicht und bietet daher Anlass, uns zu ärgern. Die entscheidende Frage lautet auch hier wieder: Ist uns die Sache wichtig genug, um aktiv zu werden oder nicht. Denn mit etwas Engagement – Gespräche mit den Prozessverantwortlichen, der IT oder auch individuelle Anpassungen – lässt sich viel mehr ändern, als man anfangs glauben mag. Kaum etwas ist in Unternehmen in Stein gemeißelt, vor allem dann nicht, wenn man es an entscheidender Stelle nicht nur kritisiert, sondern gleichzeitig auch Verbesserungsideen einbringt. Selbst wenn wir nur mittelfristig etwas bewirken, senkt die Entscheidung, zu handeln, den Ärger sofort ab oder löst ihn sogar ganz auf. Denn einer der Ärgerfaktoren ist damit aus der Gleichung genommen: das Ohnmachtsgefühl.
Möchten wir nicht aktiv werden, dann müssen wir Gegebenes annehmen und den Ärger loslassen. Der Ärger wäre sonst endlos und eine Energie- und Zeitverschwendung. Dabei hilft auch hier wieder die Bewusstmachung, dass uns die Sache anscheinend doch gar nicht so wichtig ist.
3. Deine Zuständigkeit:
Wenn es sich um einen Ärgeranlass handelt, der real ist und andere Menschen involviert, dann lautet die zentrale Filterfrage: Bewegt sich die betreffende Person innerhalb ihrer Zuständigkeit und innerhalb ihres Arbeitsbereiches? Auf gut Deutsch: Darf sie das? Leider überspringen wir oft diesen Prüfungsschritt, weil wir gedanklich nur mit uns und unseren unerfüllten Vorstellungen beschäftigt sind. Wenn es etwa keine Vereinbarung in der Abteilung
gibt, wie viele Tage in der Woche im Büro gearbeitet werden soll, haben wir keinen Anlass, uns über die Kollegin zu ärgern, die als einzige ausschließlich im Homeoffice arbeitet. Denn die Entscheidung dazu fällt nicht in unseren Bereich, sondern in ihren – und jeder Person steht es zu, die Dinge in ihrem eigenen Bereich so auszuleben, wie sie es für richtig hält.
Anderen Personen ihren eigenen Bereich zugestehen bedeutet nicht, dass wir ihr Verhalten oder ihre Handlung gutheißen müssen. Es bedeutet, ihre Entscheidungsfreiheit und ihre Individualität zu akzeptieren und zu respektieren – so wie wir es auch von anderen hinsichtlich unserer eigenen Entscheidungen und individueller Motive erwarten.
Die Frage aller Ärgerfragen: Betrifft mich das?
4. Mein Bereich:
Und auch wenn Kolleginnen oder Kollegen ihren eigenen Arbeitsbereich oder festgelegte Grenzen überschreiten, ist das immer noch kein hinreichender Grund, um sich zu ärgern. Zuerst sollte noch eine letzte Filterfrage gestellt werden, die – so einfach sie erscheint – vielleicht von allen Fragen am schwersten zu beantworten ist: Betrifft mich das? Und zwar nicht nur insofern, als dass es meinen Vorstellungen und Erwartungen widerspricht, sondern faktisch
und fühlbar? Wirkt es sich in irgendeiner Weise negativ auf mich oder meine Arbeit aus, wenn der Kollege jeden Morgen zu spät kommt oder die Raucherinnen und Raucher anscheinend mehr vor dem Gebäude stehen als an ihren Schreibtischen sitzen? Wenn das nicht der Fall ist, dann ist der Ärger nicht nur sinnlos, sondern im Grunde sogar irrsinnig. Denn wenn wir uns über Verhaltensweisen von Kolleginnen und Kollegen ärgern, die uns nicht betreffen und die wir überdies ohnehin nicht ändern können, erreichen wir letztlich nur zwei Dinge: Wir opfern Lebenszeit und Energie und machen uns selbst das Leben schwer.
Wirkt sich das Verhalten jedoch unmittelbar auf uns aus, fällt es in unseren Bereich – so wie die grundsätzlich verspätete Lieferung der Zahlen eines Kollegen, die wir für unseren Halbjahresbericht benötigen –, dann haben wir das Recht und uns selbst gegenüber sogar die Pflicht, uns darüber zu ärgern. Der Ärger liefert uns dazu dann den Handlungswillen und die Energie, die Sache anzugehen und zu versuchen, eine Veränderung zu erreichen. Im Rahmen der dazugehörigen Kommunikation sollten wir unserem Ärger natürlich nicht komplett die
Zügel schießen lassen. Wir sollten unsere eigenen Vorstellungen zuerst für uns selbst klar formulieren, um sie dann ärgerfrei und gelassen zu kommunizieren. Denn so machen wir der betreffenden Person deutlich, dass sie eine Grenze überschritten hat und uns die Sache wichtig ist.
Überprüfen wir unsere Ärgeranlässe im Arbeitsleben mithilfe des Ärgerfilters, so fallen alle Ärgeranlässe weg, die auf Annahmen beruhen, extern gegeben sind oder in den Zuständigkeitsbereich anderer Personen fallen. Durch das leichte und schnelle Filtern unserer Ärgeranlässe können nach unserer Erfahrung über die Hälfte der Ärgeranlässe losgelassen werden. Dies wirkt sich sofort auf das eigene Wohlbefinden, die eigene Zufriedenheit und das Betriebsklima im Unternehmen aus. Wer die verbleibenden Ärgeranlässe noch weiter reduzieren möchte, kann die Muster kennen- und ablegen lernen, die uns im Ärger halten können. Übrig bleiben danach circa fünf Prozent der Ärgeranlässe, nämlich die, die uns betreffen und uns wirklich wichtig sind. Sich mit den wenigen verbleibenden Ärgeranlässen zu beschäftigen, ist keine unnötige Aufregung. Ganz im Gegenteil: Es ist gut investierte Zeit und Energie.
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